Keinen Fortschritt in Bouldern und Klettern trotz Krafttraining? Daran kann es liegen.

muscular young sportsman climbing on cliff wall on sunny day
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Du hast keinen spürbaren Fortschritt beim Bouldern oder Klettern trotz Krafttraining? Dann machst du vielleicht gerade einen fiesen Fehler: du entwickelst deine Kletter-Technik nicht. Und um dich sofort zu ermutigen, möchte ich sagen, dass ich auch jahrelang diesen Fehler gemacht habe.

Sofort vorab: Ich möchte nicht sagen, dass du Krafttraining falsch oder nicht durchdacht machst. In diesem Artikel geht es darum, dir zu zeigen worauf du deinen Fokus beim Training richten kannst und warum Krafttraining sekundär ist. Deine Klettertechnik (englisch: climbing skills), deine Kletter-Fertigkeiten sind 10x wertvoller als die Fähigkeit zwanzig Klimmzüge zu machen. Weiter im Artikel verstehe ich unter dem Begriff Klettern sowohl das Bouldern als auch das Klettern.

Krasse Klipp-Position – War gar nicht so anstrengen 😃

Motivation für diesen Blogartikel

Mich hat das Buch von Eric j Hörst How to climb 5.12* inspiriert diesen Blogartikel zu schreiben. Dieses Buch hat einen enormen Einfluss auf meinem Mindset und mein Klettern (Klettern und Bouldern) ausgeübt und hat meinen individuellen Kletter-Stil stark geprägt.

Die Prinzipien, Methoden und Tipps, die im Buch beschrieben sind, sind so einfach und genial, dass wirklich jeder unabhängig vom Klettererfahrung diese anwenden kann.

Das ist zwar ein etwas altes Buch, ist aber eine Muss Lektüre für jeden, der nicht nur 6-er klettern möchte, sondern im Klettern und Bouldern nachhaltig wachsen will. Dieses Buch hat mich auf meine größten Trainings-Fehler aufmerksam gemacht, die ich dann verbessern könnte.

Das Einzige ist, du musst englisch verstehen. 🤓 Das Buch ist auf Englisch geschrieben.



Ich habe im Video zwei Gründe zusammengefasst, warum Klettertechnik vor Krafttraining kommen soll.

📺 Das Video zum Artikel findest du hier auf YouTube 👇

Also, auf geht´s, warum die Kletter-Technik so entscheidend ist.

Stelle dir Mal vor:
Du gehst seit einiger Zeit Klettern und bist dir ziemlich sicher, dass du einige Jahre oder Jahrzehnte Lust auf den Sport haben wirst. Und wie jeder von uns, irgendwann kommst du auf einen Punkt, wo du dir diese Fragen stellst:

Wie kann ich nun schneller besser werden?
Warum öffne ich keinen neuen Schwierigkeitsgrad?
Was kann ich tun, um besser zu werden?

Die Antwort findest du recht schnell – ich muss mehr kletterspezifische Kraft entwickeln, um kleinere Griffe festhalten zu können.

Ist ja logisch. Denkt man: Wenn ich etwas nicht halten kann, kann ich das nicht klettern. Deswegen muss ich meine Muskulatur entwickeln.

Und genau hier kommen wir zum größten Fehler, den viele Menschen machen.

Es gilt: wenn du eine schlechte Kletter-Technik hast, wird dir Kraft nur sehr bedingt helfen komplexe Routen zu klettern.

Viele (damals ich auch) vergessen, dass das, was dich zu einem sehr starken und guten Kletterer macht, sind die erlernten Kletter-Fertigkeiten bzw. die Klettertechnik. Und nicht die Fähigkeit zwanzig Klimmzüge schaffen zu können.

Kurzer Exkurs zu den Begriffen Fertigkeit und Fähigkeit:
Fähigkeit – ist angeboren – Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit, Balance, Orientierungssinn.
Fertigkeit – ist erlernt – Gehen, Laufen, Klettern, Sprechen, Human Flag etc.

Wenn du neu beim Klettern bist, sollst du lieber nicht sofort mit massivem Krafttraining anfangen, weil du dich durch zu viel Krafttraining am Anfang deinen technischen Fortschritt stark verhindern wirst. Wie der Autor Eric J Hörst im Buch How to climb 5.12* schreibt:

[…] An obsession on strength training early on will stunt your technical growth and may handicap your skill for years to come.

S.37, How to climb 5.12. by Eric J. Hörst, , Ausgabejahr: 1997

Eric J Hörst versteht unter dem Begriff Skill eine Fertigkeit (Technik und Taktik).

Ganz am Anfang viel Kraft zu trainieren ist nicht nur kontraproduktiv, das ist ziemlich dumm. Weil wenn man noch keine ausreichenden Kletter-Fertigkeiten entwickelt hat, zerstört man durch Krafttraining den Fokus auf Bewegung und die sogenannte Feinwahrnehmung des Körpers, was zu einer noch schlechteren Technik führen kann.

Elite-Kletterer verfügen über eine ausreichende “Bewegungs-Bibliothek” bzw. Klettertechnik und Strategien. Deswegen steht bei Profi-Kletterern eher die Entwicklung der spezifischen Kletter-Kraft im Vordergrund.

Grundsätzlich sollte Technik Training bei Anfängern und Fortgeschrittenen immer im Vordergrund stehen.

Where Focus goes, energy flows. Dort, worauf du dich konzentrierst, fließt Energie.

Stelle dir mal vor…

Du trainierst dich an einem Fingerboard über vier-fünf Wochen lang, mindestens drei Stunden pro Woche. Deine Gedanken, dein Fokus, deine Priorität liegen bei „Festhalten von kleinen Griffen“. Du gehst Bouldern, machst dich warm und probierst eine Route mit kleinen Griffen im Überhang.

Worauf wirst du dich während Bouldern fokussieren?

Die Antwort lautet: aufs Festhalten!

Wie lange kannst du die kleinen Griffe ohne deine Füße an die Wand zu setzen festhalten?
Fünf Sekunden oder sieben?
Was machen deine Füße in dem Moment, wann du Züge ausführst?
Fliegen sie jedes Mal von der Wand runter, wenn du den nächsten Griff packst, weil du einfach die entsprechende Tritttechnik im Überhang nicht beherrschst?

Das Resultat: ein sehr höher bezahlter Preis für den Erfolg: gepumpte Arme, Frustration trotz Top-Versuch und Ende der Session, weil es weiter nicht mehr geht.

Durch die zu starke Konzentration auf Krafttraining oder wie in unserem Beispiel auf Festhalten kleiner Griffe zerstörst du faktisch deinen guten Technik-Kletter-Fokus. Es gibt in dem Moment nur einen Gedanken im Kopf. Und zwar diesen, den du dir in den letzten Wochen stark eingeprägt hast: FESTHALTEN!

Die Konsequenz: du siehst nicht oder vergisst:

  • deine Füße richtig zu setzen
  • gut genug mit den Füßen zu arbeiten
  • Heel Hoocks und Toe Hoocks zu setzen
  • die Route richtig zu lesen
  • das Klettern der Route strategisch zu planen
  • die richtige Körperposition während Klettern zu finden
  • die alternativen Lösungen (weil deine Bewegungs-Bibliothek [climbing skills] sehr arm ist)

Also, ich will nicht sagen, dass du ab heute keine Krafttraining machen sollst. Krafttraining ist sehr wichtig um Fortschritt zu haben. Ist aber nicht das Fundament. Der Autor empfiehlt am Anfang das Verhältnis zwischen Kletter-Technik-Training und Krafttraining 3 zu 1 zu halten. Natürlich kannst du später dieses Verhältnis variieren (nach meinem Empfinden ab ein Kletterniveau von 8+ / 9- UIAA).

Nachhaltig investieren oder kurzfristige Spekulation?

Der Autor hat neun Kletter-Grundsätze erarbeitet. Der Grundsatz unter der #3 lautet:

[…] The learning curve for climbing skill is steeper and continues upward longer and more steady than a curve showing gains in climbing strength from fitness training. Period. […]

S.6, How to climb 5.12. by Eric J. Hörst, , Ausgabejahr: 1997

Und das kann ich aus meiner eigenen Erfahrungen bestätigen. Ich denke, jeder hat mal während seiner Kletter-Sport-Karriere längere Pausen gemacht. Vielleicht weil man Abstand zum Sport nehmen wollte oder eine Verletzung hatte, oder der Sport nicht in die Lebenssituation gepasst hat (Jobwechsel, Umzug, Uni-Stress). Jedes Mal konnte ich nach dem Rückkehr ins Klettern keine Einschränkungen in der Klettertechnik merken. Anders war es bei der Kraft. Kraft müsste ich über Wochen oder sogar Monaten lang wieder aufbauen.

Abbildung 1: Die Technik- und Kraft-Lernkurve

Investierst du deine Zeit und Energie nachhaltig? 📈
Machst du eine langfristige Investition? 🌱
Oder spekulierst du hier und jetzt um kurzfristig Rendite zu haben? 🤔

Die erlernte Kletter-Fertigkeit (climbing skills) sind sehr nachhaltig. Einmal gelernt, wirst du diese im Leben nie verlernen. Kraft auf der anderen Seite schon nach einigen Wochen Pause geht langsam verloren.

Du musst regelmäßig Krafttraining machen um ein gewisses Kraft-Niveau halten zu können. Deswegen zahlt sich ein nachhaltiges und langfristiges Investment in das Techniktraining aus. Konzentriere dich auf das Erlernen neuer Fertigkeiten.

Erweitere deine Bibliothek der Kletter-Bewegungen

Warum solltest du in der ersten Linie an deiner Fertigkeit – die Klettertechnik arbeiten und dich weniger auf Krafttraining konzentrieren?

Beim Klettern geht es immer um spezifische Bewegungen. Es gibt keine zwei gleichen Routen auf der Welt. Die Vielfalt der möglichen Bewegungsabläufen beim Klettern ist gigantisch. Diese Kombinationen oder Bewegungsabläufe kannst du lernen, in dem du diese ausprobierst, einstudierst und dir einprägst.

Genau wie kleine Kinder gehen, springen, auf einem Fuß stehen lernen, kannst du neue Techniken durch Ausprobieren neuer Bewegungen und Wiederholungen lernen. Wenn du sie ein Mal verstanden hast, wirst du sie nie im Leben vergessen.

Abbildung 2: Der Ozean der möglichen Bewegungen und Bewegungskombinationen:

Jeder Baublock repräsentiert eine Bewegung oder eine konkrete Technik. Es gibt nicht nur eine Technik (nennen wir sie mal Technik “A.1”), sondern gibt es zahlreiche Kombinationen und Variationen dieser Technik. Zum Beispiel aus “A.1” können wir A.1.a.2 oder A.B.1.2. ableiten. Oder sogar Techniken kombinieren.

Baue die Lücken in deiner Bewegungs-Bibliothek zu

Natürlich einige Techniken wirst du sehr oft verwenden. Andere Techniken werden seltener vorkommen. Die Herausforderung ist, in einer konkreten Kletter-Situation eine konkrete Technik aus der Bewegungs-Bibliothek auszuwählen und diese sofort anzuwenden. Wenn du diese spezifische Klettertechnik (nennen wir sie mal “J.3.a.1”) nicht hast, dann fliegst du auf die Bouldermatte oder ins Seil. Deine Aufgabe ist, möglichst wenige “Lücken” in deiner Bewegungs-Bibliothek zu haben. Baue nachhaltig die Basis mit den Blöcken auf. Danach es fange an, die eher komplexeren Techniken zu erlernen.

Beachte: wenn die Basis nicht steht, kann es nicht nach oben gebaut werden! Ähnlich, wie beim Hausbau. Nicht wahr? 😉

Rechts in der Grafik siehst du eine Schwierigkeitsgrad-Skala. Um stärker klettern zu können, muss deine Bibliothek über viele “Technik-Blöcke” verfügen. Ab einem gewissen Grad wirst du gezwungen spezifische Krafttraining zu machen. Aber erst dann, wenn du die Skills aufgebaut hast.

Abbildung 3: Die Bewegungs-Bibliothek einer Person, die nie klettern war.

Der Autor debattiert, dass unser Körper in der lage sei, sich spezifische Kletter-Muster zu merken und gewisse motorische Leistungs-Karten im Hirn und in dem Nervensystem aufzubauen.

Your body learns and remembers new climbing movements by building detailed “motor performance mapps” or schema in the nervous system and brain.

S. 19, How to climb 5.12 by Eric J. Hörst, Ausgabejahr: 1997

Wann ist der beste Zeitpunkt um Technik zu trainieren? Auf diese Frage gibt der Autor eine sehr gute Antwort:

[…] Practice of new skills is most effective when you’re well rested, fully warmed up, and in a safe environment. Use the 30 minutes immediately following your warm up to practice new moves, techniques, and weak skills areas. Indoor walls, topropes, and boulders are the ideal forum.

S. 19, How to climb 5.12 by Eric J. Hörst, Ausgabejahr: 1997

Das Verhältnis zwischen Klettertraining und Krafttraining sollte 3 zu 1 sein.

Favor skill practice over strength training at a ratio of 3 to 1.

S.10, How to climb 5.12. by Eric J. Hörst, , Ausgabejahr: 1997

Fazit

Was sind die Vorteile, wenn du deine Klettertechnik verbesserst:

  • Du erkennst schnell gelernte Muster und wendest deine Fertigkeiten sofort an.
  • Baust eine Nachhaltige Bewegungs-Bibliothek in deinem Kopf auf.
  • Du weißt, was du machen musst – extrem wichtig für Flash oder Onsight Versuche.
  • Du fühlst dich sicher in den Routen.
  • Durch die Verwendung von gelernten Techniken bist du schneller mit der Route durch – also brauchst nicht so viel Kraft.
  • Du entwickelst die Fertigkeit Routen sofort richtig zu lesen.
  • Hast mehr Spaß beim Klettern.
  • Du bist nach einem Training nicht komplett körperlich zerstört.
  • Du schaffst mehr Routen pro Training.

Das Buch How to climb 5.12* hat mir enorm geholfen besser beim Klettern zu werden. Der Autor gibt extrem hilfreiche Tipps, wie du dich verbessern kannst. Für die Krafttiere und uns: ja, er gibt auch Tipps zu Krafttraining, Strategie, Mindset, Visualisation u.v.m..

Das Ziel ist nicht nur eine 5.12, Französisch 7a, UIAA 8 klettern zu können, sondern weiter zu gehen, den Horizont an Routen zu erweitern, und viel Spaß auch in schwereren Routen zu haben. Das Buch hat mir geholfen, ein starkes Fundament aufzubauen. Nach wie vor profitiere ich heutzutage von den erworbenen Kenntnissen.

Natürlich kannst du selber deinen Weg durchs Ausprobieren und Fehler machen gehen. Leider wird die wertvolle Zeit durchs das Trial and Error unwiderruflich verloren gehen. Dieses Buch ist eine echte Abkürzung zu deinem ersten Magic Grade – 5.12 / 7a / UIAA 8.

PS.: In unseren Technik-Kursen Boulder Technikkurse geben wir individuelle Tipps und Methoden, wie du deine Klettertechnik verbessern kannst. Falls du Interesse an so einen Kurs hast, dann spreche uns an. Du kannst über das Kontakt-Formular uns kontaktieren.


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